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Streit um die Erstattung der Kosten für die Behandlung in einer ausländischen Privatklinik

Datum: 15.02.2022

Kurzbeschreibung: Streit um die Erstattung der Kosten für die Behandlung in einer ausländischen Privatklinik

Die Klägerin, eine türkische Staatsangehörige, die schon seit vielen Jahren in Deutschland lebt, stürzte während eines Urlaubsaufenthalts in der Türkei eine Treppe herunter und brach sich dabei die Hüfte. Nach einem kurzen Aufenthalt in einem staatlichen Krankenhaus begab sich die Klägerin in eine Privatklinik in Istanbul, wo sie operiert und ca. 2 Wochen stationär behandelt wurde. Hierfür sind Kosten in Höhe von ca. 21.000 € entstanden, die die Klägerin unmittelbar an das Krankenhaus zahlte.

Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland beantragte die Klägerin bei der Beklagten, ihrer gesetzlichen Krankenkasse, die Erstattung der 21.000 €. Nach den Ermittlungen der Beklagten wären für die durchgeführte Operation in Deutschland Kosten in Höhe von ca. 12.400 € angefallen. In dieser Höhe sagte die Beklagte der Klägerin mit einem Bescheid die Erstattung der Behandlungskosten zu.

Vor Auszahlung dieses Betrags erhielt die beklagte Krankenkasse von ihrem türkischen Pendant jedoch die Information, dass die gesetzliche Krankenkasse in der Türkei für die Operation und Behandlung in der Istanbuler Privatklink lediglich Kosten in Höhe von ca. 370 € übernommen hätte. Deswegen hob die Beklagte den eben genannten, mittlerweile bestandskräftig gewordenen Bescheid wieder auf und bewilligte der Klägerin statt 12.400 € lediglich einen Betrag in Höhe von 370 €. Zur Begründung führte die Beklagte unter anderem aus, die Klägerin habe als türkische Staatsangehörige gewusst, dass die Beklagte als gesetzliche Krankenkasse nur das erstatten könne, was auch die ausländische Krankenkasse an Kosten übernommen hätte, mithin, dass der ursprüngliche Bewilligungsbescheid der Beklagten rechtswidrig gewesen sei.

Mit ihrer Klage beim Sozialgericht Reutlingen hat die Klägerin eine Erstattung der tatsächlichen Kosten von 21.000 €, hilfsweise die Erstattung der ursprünglich von der Beklagten zugesagten 12.400 € geltend gemacht. Nur letzteres hatte Erfolg. 

Nach Auffassung des Sozialgerichts hatte die Klägerin als gesetzlich Versicherte eigentlich gar keinen Anspruch auf Behandlungskosten für die Behandlung in einem Privatkrankenhaus, weil sie sich aus einem staatlichen Krankenhaus in eine Privatklinik habe verlegen lassen, ohne dass es hierfür medizinische Gründe gab.

Allerdings könne sie sich in Bezug auf den ersten Bewilligungsbescheid auf ein schutzwürdiges Vertrauen berufen. Das Argument der Beklagten, dass die Klägerin als türkische Staatsangehörige habe wissen müssen bzw. grob fahrlässig nicht gewusst habe, dass die türkische gesetzliche Krankenkasse die angefallenen Kosten nicht übernommen hätte und dementsprechend auch die Beklagte diese Kosten nicht erstatten durfte, hat das Gericht nicht überzeugt. Zum einen könne von einem türkischen Staatsangehörigen und auch nicht von einem deutschen Staatsangehörigen verlangt werden, dass er sich detailliert in der jeweiligen sozialversicherungsrechtlichen Gesetzgebung auskenne, insbesondere dann nicht, wenn abgesehen von der Staatsangehörigkeit kein fester Bezug zu dem Land bestehe. Zum anderen habe die Beklagte, indem sie sich zunächst darüber informierte, welche Kosten für die in der Türkei stattgefundene Operation und anschließende Behandlung in Deutschland angefallen wären, einen für einen juristischen Laien nachvollziehbaren Vertrauenstatbestand geschaffen. 

Die beklagte Krankenkasse – so das Sozialgericht Reutlingen – habe daher den ursprünglichen begünstigenden Bescheid, auch wenn er objektiv rechtswidrig gewesen sei, nicht mehr zurücknehmen dürfen und müsse die bewilligten 12.400 € an die Klägerin leisten.

 Urteil vom 14. Dezember 2021 (Az.: S 10 KR 144/20) – noch nicht rechtskräftig – 

Hinweis zur Rechtslage: 

 § 16 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VII] - Auszug - 
(1)   Der Anspruch auf Leistungen ruht, solange Versicherte

1. sich im Ausland Aufenthalten, und zwar auch dann, wenn sie dort während eines vorübergehenden Aufenthalts erkranken, soweit in diesem Gesetzbuch nichts Abweichendes bestimmt ist.

 § 6 Viertes Buch Sozialgesetzbuch [SGB IV] i.V.m. Art. 12 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit vom 30.04.1964 

 § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X] - Auszug -

(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigende auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sich ein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eigene Vermögensdispositionen getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit

1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,

2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder

3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Haben Sie Fragen zu dieser Pressemitteilung, so können Sie sich gerne an die Pressestelle des Sozialgericht Reutlingen wenden:

Raphael Deutscher
Richter am Sozialgericht
Tel. 07121/940-3333  


Vertreter: Holger Grumann
Vizepräsident des Sozialgerichts 
Tel. 07121/940-3319
 

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