Navigation überspringen

Umzugskosten für alleinerziehende und psychisch angeschlagene Mutter zu Lasten des Jobcenters

Datum: 07.03.2022

Kurzbeschreibung: Umzugskosten für alleinerziehende und psychisch angeschlagene Mutter zu Lasten des Jobcenters

Die 1977 geborene Klägerin bezieht mit ihrem 2018 geborenen Sohn, für den sie das alleinige Sorgerecht hat, Grundsicherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Der Sohn musste 2020 an der Herzklappe operiert werden. Die Klägerin leidet an einer Dysthymie und einer ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstörung und wird deswegen vom gemeindepsychiatrischen Dienst betreut.

Ende 2020 sicherte das beklagte Jobcenter der Klägerin die Kostenübernahme für einen auf Anraten des gemeindepsychiatrischen Dienstes geplanten Umzug in eine größere Mietwohnung zu. Die beiden von der Klägerin vorgelegten Kostenvorschläge von zwei Umzugsunternehmen in Höhe von 670,00 € und 1.076,00 € lehnte der Beklagte jedoch ab und gewährte stattdessen lediglich eine Umzugspauschale in Höhe von 205,00 € (Umzugskostenpauschale i.H.v. 75,00 und Transportkostenpauschale i.H.v. 130,00 € zzgl. Benzinkosten).

Die Klägerin ließ den Umzug von einer Firma durchführen. Die Kosten betrugen 663,50 €. Mit der zum Sozialgericht Reutlingen erhobenen Klage hat sie die Zahlung der Differenz von 458,50 € zwischen den tatsächlich entstandenen Kosten und der bewilligten Pauschale geltend gemacht.

Die 7. Kammer des Sozialgerichts Reutlingen hat das Jobcenter Reutlingen zur Zahlung des Differenzbetrags verurteilt. Rechtsgrundlage für die Übernahme von Wohnungsbeschaffungs- und Umzugskosten sei § 22 Abs. 6 SGB II. Zwar seien Leistungsberechtige grundsätzlich gehalten, die Kosten eines Umzugs im Wege der Selbsthilfe zu minimieren, das heiße, sie müssten einen Umzug grundsätzlich selbst organisieren und durchführen. Dies gelte jedoch nicht, wenn wichtige Gründe (z.B. Alter, Betreuung von Kleinkindern, Behinderungen oder medizinische Gründe) entgegenstehen würden. Im Gegensatz zum Beklagten hat das Sozialgericht Reutlingen bei der Klägerin diese Ausnahmegründe für gegeben erachtet. Ihr beim Umzug erst zwei Jahre alter Sohn habe während des Umzugs eine durchgehende Aufsicht und Betreuung benötigt. Zudem sei die psychisch angeschlagene und in ihrer Alltagskompetenz eingeschränkte Klägerin nicht in der Lage gewesen, den Umzug selbst zu organisieren und durchzuführen. Entgegen der Auffassung des Jobcenters könne von der Erwerbsfähigkeit der Klägerin nicht auf die Fähigkeit, einen Umzug zu organisieren und selbständig durchzuführen, geschlossen werden.

Da der Wert des Streitgegenstandes 750,00 € nicht übersteigt, ist eine Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (Stuttgart) nicht zulässig. Gründe für eine Zulassung der Berufung hat die entscheidende Kammer des Sozialgerichts Reutlingen nicht gesehen.    

Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 17.02.2022 (Az S 7 AS 716/21 – noch nicht rechtskräftig –)  

Hinweis zur Rechtslage: 

§ 22 Abs. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II): Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, wird nur der bisherige Bedarf anerkannt. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Eine Absenkung der nach Satz 1 unangemessenen Aufwendungen muss nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre.
§22 Abs. 6: Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten können bei vorheriger Zusicherung durch den bis zum Umzug örtlich zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden; Aufwendungen für eine Mietkaution und für den Erwerb von Genossenschaftsanteilen können bei vorheriger Zusicherung durch den am Ort der neuen Unterkunft zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden. Die Zusicherung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. Aufwendungen für eine Mietkaution und für Genossenschaftsanteile sollen als Darlehen erbracht werden.

Haben Sie Fragen zu dieser Pressemitteilung, so können Sie sich gerne an die Pressestelle des Sozialgericht Reutlingen wenden:

Raphael Deutscher
Richter am Sozialgericht
Tel. 07121/940-3333

Vertreter: Holger Grumann
Vizepräsident des Sozialgerichts
Tel. 07121/940-3319

 

Haben Sie diese Pressemitteilung verwertet? Für Ihre kurze Rückmeldung wären wir dankbar! 

 

Diese Website verwendet Cookies. Weitere Informationen erhalten Sie unter Datenschutz.